Donnerstag, 23. September 2010

Interessanter Artikel zu Irland im Tagesanzeiger

Talfahrt ins Grüne

Von Margrit Sprecher

Die Iren in der Wirtschaftskrise: Auf ihren Balkonen pflanzen sie Broccoli. Die Hunde schläfern sie ein, weil das Futter zu teuer ist. Und den Brautstrauss kaufen sie bei Aldi.

«Wie nur», staunte ein Leser der «Irish Times», «ist es uns gelungen, als kleines Land mit vier Millionen Einwohnern Schulden wie eine Supernation zu machen? Mit dieser Summe könnten wir zweimal die Olympischen Spiele durchführen, vier Monate lang den Krieg in Afghanistan und im Irak bestreiten oder drei Teilchenbeschleuniger bauen. Oder wissen wir bereits genug über schwarze Löcher?»

Der Bösewicht Nummer eins

Das schwarze Loch trägt einen Namen: Anglo Irish Bank. In wenigen Monaten hat die drittgrösste Bank Irlands 26 Milliarden Euro Staatsgelder verschlungen, und das ist nur der Anfang, wie Finanzexperten versichern. Dabei sah eben noch alles so rosig aus. Unter den Bankangestellten gab es mehr Millionäre als auf den Bermudas, und auch die Kunden scheffelten Geld. Gerne erzählte Anglo-Irish-Boss Sean FitzPatrick, wie ihn ein Unbekannter auf der Strasse angesprochen und ihm für das Ferienhaus in Spanien gedankt hatte.

Heute ist aus dem Wohltäter FitzPatrick Irlands Bösewicht Nummer eins geworden. Sein Pub erteilte ihm Lokalverbot, um Unruhe unter den Gästen zu vermeiden. Im Golfklub drücken sich die früheren Freunde mit einem gemurmelten «Tut mir ja so leid für dich» rasch an ihm vorbei. Und die Presse titelt höhnisch: «Eine weitere dramatische Woche im Leben FitzPatricks», und zeigt ihn im Golfdress vor einem seiner sechs Anwesen. Seit er auch persönlich Konkurs angemeldet hat, gehören die Häuser der Gattin.

Das halbe Land ist bankrott

Bankrott ist nicht nur FitzPatrick. Bankrott ist das halbe Land. 300 000 Häuser und Wohnungen stehen leer. An manchen Strassen gibt es so viele «For sale»-Tafeln wie Briefkästen. Unzählige Bauruinen starren aus schwarzen Fensterhöhlen auf die grünen Wiesen. 15 Prozent aller Iren haben ihren Job verloren und suchen, wie zu den schlimmsten Hunger- und Massenauswanderungszeiten, Arbeit in England oder Amerika. Und als wäre das alles noch nicht genug, verkündet das irische Radio täglich neue Hiobsbotschaften und Firmenschliessungen.

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